… ist man beim Lesen des Debüts des israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber: Die 4 Ohnmachten des Chaim Birkner. Literarisch ist er bis jetzt nur als Co-Autor eines Buchs zu Mozart aufgetreten. Mit Die 4 Ohnmachten des Chaim Birkner legt Wellber einen typischen Schelmenroman vor – ähnlich dem 100jährigem der aus dem Fenster stieg und verschwand. Der Schelm: Chaim Birkner. Er ist 108 Jahre alt und damit der älteste Mann Israels. Doch er will nicht feiern, sondern beschließt in seine Heimat Ungarn zurück zu reisen. Es ist die Heimat, die er 1944 als Kind auf Drängen seiner Eltern verlassen hat. Und bevor ihr jetzt anfangt zu rechnen, das Buch spielt in der Zukunft: 2038.
Der Holocaust ist immer noch präsent – aber auch der jüdische Humor. Wellber erzählt eine Geschichte Israels, die, wie er sagt, „ganz anders ist, als das, was Israel erzählt.“ Er hat viele Überlebende kennengelernt und ihren Geschichten zugehört. Chaim steht exemplarisch für alle, die Europa mussten, um dann in Hitze und Wüste zu leben. In einem Kibuzz kommt Chaim an, heiratet, bekommt eine Tochter und denkt immer noch an seine Sandkastenliebe. Er baut zu nichts und niemandem eine Bindung auf. Lügt sich durchs Leben unter einem falschen Namen, als er zum Sinai-Feldzug eingezogen werden soll. Er drückt sich vor dem Leben und am Ende ist er immer allein.
Chaim ist eine tragische Person, er führt ein Leben ohne Wurzeln. Und Wellber schafft es dieses Leben zu skizzieren, ohne beim Leser Mitleid zu schüren. Und dann kommt Chaims Tochter ins Spiel, mit der bisher wenig am Hut hatte. Sie möchte einen religiösen Juden heiraten und kann keine tadellos jüdische Ahnenliste vorweisen!
Das ist ein offenes Familiengeheimnis. Chaims Großmutter ist keine Jüdin gewesen. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges. Denn auch bei seinen Eltern ist etwas nicht ganz so gelaufen ist, wie es sollte.
Fazit
Wellber ist und bleibt Dirigent – auch im Buch. Er wechselt von einem Moment auf den anderen die Erzählebenen und die Zeiten. Es ist wie im Konzert, hier erzählt die erste Geige und Flöten spielen einen ganz anderen Ton an. Und immer wieder setzt die Pauke einen Schlusspunkt. Das macht es nicht immer leicht, der Geschichte zu folgen. Naja, es schadet auch nicht, einen Absatz noch mal zu lesen, um ihn zu verstehen.
Für mich ein gelungenes Debüt mit viel Witz und Charme.
Omer Meir Wellber: Die 4 Ohnmachten des Chaim Birkner, aus dem Hebräischen von Ruth Achlama, 208 Seiten, Berlin Verlag, 22 Euro, ISBN 978-3-8270-1406-1
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